M. Hettling u.a. (Hrsg.): Bedingt erinnerungsbereit

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Titel
Bedingt erinnerungsbereit. Soldatengedenken in der Bundesrepublik


Herausgeber
Hettling, Manfred; Echternkamp, Jörg
Erschienen
Göttingen 2008: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
176 S., 11 Abb.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Holger Kirsch, Redaktion Zeitgeschichte-online, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

„Die große Ernüchterung über die [deutsche] Sicherheitspolitik steht noch aus. Keiner weiß, ob sie von einem Knall oder einem Winseln begleitet sein wird“, schreibt Klaus Naumann in seinem neuen Buch über „Die Politikbedürftigkeit des Militärischen“.1 Die vielfältigen Probleme und vermeintlichen ‚Zwischenfälle’ im Kontext des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr, den Naumann als „Musterfall strukturellen Politikversagens“ kennzeichnet2, sorgen nun vielleicht für stärkere Debatten, die an die Stelle der bisherigen „Gleichgültigkeit von Unterstützern wie Kritikern“3 treten könnten. Für die Zeitgeschichtsforschung sind solche Diskussionen insofern relevant, als dabei frühere Haltungen der Bundesrepublik zu Krieg und Militär und damit wesentliche Teile des staatlichen Selbstverständnisses auf dem Prüfstand stehen. War noch Mitte der 1990er-Jahre vermutet worden, dass „der Weg zu einer Normalität des Nationalen, wie wir sie aus Frankreich, Großbritannien oder den Vereinigten Staaten kennen, auch im wiedervereinigten Deutschland verbaut“ sei4, so treten die mit (mehr oder weniger plausiblen) Verweisen auf die Geschichte begründeten Unterschiede zwischen dem politisch-militärischen Handeln der Bundesrepublik und demjenigen anderer westlicher Staaten inzwischen nicht selten in den Hintergrund.

Wie so oft seit der deutschen Einheit, ist diese Debatte wiederum mit einem Denkmalsprojekt verbunden, das zu einer größeren Klarheit über die politischen und historischen Vorannahmen beitragen könnte – was aus Gründen, die noch zu erläutern sind, jedoch bisher nicht geschehen ist. Das von Bundesverteidigungsminister Jung initiierte und als Ressortangelegenheit vorangetriebene „Bundeswehr-Ehrenmal“ soll, falls die eher tröpfelnden Informationen verlässlich sind, im Frühjahr 2009 eingeweiht werden.5 Nun kann man ein Denkmal, wie Rolf Hochhuth in anderem Zusammenhang bemerkte, „nicht herstellen wie Brötchen“.6 Um eine breitere Diskussion über historische, kunsthistorische, theologische, soziologische und politische Fragen anzuregen, haben Manfred Hettling und Jörg Echternkamp im Oktober 2007 eine international vergleichende Tagung zum „Tod des Soldaten als demokratische Herausforderung“ veranstaltet.7 Die auf Deutschland bezogenen Beiträge sind nun im vorliegenden Sammelband publiziert worden; ein Band zu den internationalen Kontexten soll folgen.

Die Herausgeber sprechen von einem „Einschnitt in der Gedenkkultur der Bundesrepublik“ (S. 7). Durch die semantische Verschiebung vom passiven zum aktiven Opferbegriff (‚Opfer für…’ statt ‚Opfer von…’) werde es möglich, den Soldatentod positiv zu deuten und ihn – anders als in früheren Phasen der deutschen Geschichte – mit demokratischen Werten zu verbinden. Die insgesamt 13 Aufsätze des Bandes orientieren sich an fünf Leitfragen (S. 8): Welche Konflikte bringt der Tod von Soldaten gerade für „postheroische Gesellschaften“ mit sich? Wie wurde und wird in der Bundesrepublik mit den historischen Traditionen des Soldatengedenkens umgegangen? Welche religiösen „Hilfsangebote“ stehen zur Verfügung? Welcher „Formensprache“ folgt das geplante Denkmal? Wie ist die bisher auffallend geringe Diskussionsbereitschaft zu erklären?

Vier Beiträge aus unterschiedlichen Abschnitten des Bandes seien hier besonders empfohlen, weil sie für einen raschen Zugang zu den genannten Themen geeignet sind. Herfried Münkler hebt hervor, dass ein Bundeswehr-Ehrenmal eine größere Brisanz habe als die bislang bekannten Mahnmale, denn es verweise nicht auf eine überwundene Vergangenheit, sondern vor allem auf gegenwärtige und künftig noch hinzukommende Tote. Andererseits sei die überwiegende Mehrheit der „postheroischen Gesellschaft“ von den „Wars of Choice“ nicht existenziell betroffen und stehe dem militärischen Totengedenken daher gleichgültig gegenüber. Dementsprechend bleibe der „sakrale Mehrwert“ eines Denkmals „äußerst begrenzt“ (S. 29); öffentlich zustimmungsfähig sei heute nur noch die Erinnerung an ‚Getötete’, nicht aber an ‚Gefallene’. Während Hettling zuvor ein Symbolisierungsdefizit ausgemacht und eine „nach wie vor […] moralisch gefärbte Diskussion über Krieg“ beklagt hat (S. 16), argumentiert Münkler subtiler und weniger normativ.

Ganz am Ende des Bandes steht ein Aufsatz von Klaus Naumann, der Münklers Beitrag ausgezeichnet ergänzt. Auch Naumann sieht ein ambivalentes Verhältnis der deutschen Öffentlichkeit zur Institution Bundeswehr und bezeichnet die Randständigkeit der Debatte um das Ehrenmal als erklärungsbedürftige „Irritationserfahrung“ (S. 162). Seine These lautet, dass „eine Gesellschaft, die sich bisher in Opferkult und Opferidentifikation ergangen hat“, auf die Situation jenseits „der eigentümlichen Sekuritätslandschaft des Kalten Kriegs, die den Soldatentod nicht kannte, weil sie ihn ‚abschrecken’ konnte“, „nicht vorbereitet“ sei (S. 163f.). So kann Naumann überzeugend die historische Pfadabhängigkeit des Gedenkens und Nicht-Gedenkens aufzeigen.

„Sprachlosigkeit […] oder einfach Desinteresse“ (Naumann, S. 162) ist eine mögliche Reaktion auf Ungewissheiten. Eine andere Form ist diejenige, die das Verteidigungsministerium gewählt hat: ein Denkmal planen, Diskussionen vermeiden, Tatsachen schaffen. Die Kunstpublizistin Stefanie Endlich hat bereits an anderer Stelle die Verstöße gegen etablierte Wettbewerbsregeln aufgezählt.8 In ihrem Beitrag zum vorliegenden Band hebt sie außerdem den Widerspruch zwischen „nationale[n] und dezentrale[n] Formen der Erinnerung“ hervor (so der Untertitel). Während es gerade im Berliner Stadtraum zahlreiche Beispiele gebe für eine „Denkmalskunst, die politische Vorgaben und gesellschaftliche Sichtweisen kritisch hinterfragt“ (S. 126), werde das Bundeswehr-Ehrenmal „wie ein Fremdkörper […] in die Berliner Erinnerungslandschaft implantiert“ (S. 130). Endlichs Kritik lässt sich durch ein systematisches Argument noch vertiefen: (Moderne) Kunst und Demokratie besitzen „die gemeinsame Neigung zur Selbstreflektion“. Ein Bewusstsein der Vorläufigkeit von Bewertungen und Entscheidungen ist für beide zentral.9 Eine der Demokratie adäquate (Denkmals-)Kunst müsste daher in Verfahren und Form Zweifel zulassen, statt Aussagen ein für allemal festschreiben zu wollen.

Wem die bisher genannten Aufsätze zu stark gegenwartsorientiert sein mögen, der sei auf den stärker historisch akzentuierten Beitrag von Wolfgang Schmidt über Trauerfeiern der Bundeswehr seit den 1950er-Jahren verwiesen. Der Autor, Oberstleutnant an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, geht den „Deutungsleistungen“ bei Traueransprachen und Zeremonien nach. Das in den Grundzügen bis heute übliche Trauerzeremoniell wurde erstmals 1957 praktiziert, nachdem eine Gruppe von Wehrpflichtigen bei dem Versuch ertrunken war, die Iller zu durchqueren. Neuerdings sind die Todesorte und -umstände oft ganz andere, aber Schmidt weist auf eine wichtige Konstante hin: Für die Hinterbliebenen besitzen die Trauerfeiern eine starke Ambivalenz. Was von offizieller Seite als Ehrung gedacht ist (etwa ein Namensruf), kann für die Angehörigen den Schmerz vertiefen. Hier wird einmal mehr der Gegensatz zwischen staatlich-politischer und privater Trauer deutlich.

Auch die übrigen, an dieser Stelle nicht im Detail zu resümierenden Beiträge bieten nützliche Anregungen. Wolfgang Kruse skizziert den „monumentalen Gefallenenkult in Deutschland seit 1813“ und sieht das Bundeswehr-Ehrenmal vor diesem Hintergrund als eine „Erneuerung“ jenes Kults (S. 44). Jörg Echternkamp weist auf die Fragilität der bundesdeutschen Haltung zur Wehrmacht hin: Lange Zeit war eine positive Erinnerung an ehemalige Wehrmachtssoldaten zwar verbreitet, erforderte aber das Ausblenden der politischen Kontexte ihres Handelns. Zwei Beiträge aus theologischer Perspektive bleiben leider ziemlich konturlos. Aufschlussreicher, allerdings auch nur in Teilen überzeugend sind weitere Artikel zur architektonischen, städtebaulichen und kunstgeschichtlichen Einordnung des künftigen Ehrenmals. Heinrich Wefings Bewertungen des Siegerentwurfs von Andreas Meck leiden neben kleinen sachlichen Fehlern und der Tatsache, dass er die bisher zaghafte, aber doch vorhandene Debatte10 ganz übergeht, besonders daran, dass Meck seinen Entwurf inzwischen überarbeitet hat und auf den altarähnlichen Monolithen nun verzichtet – was eine grundlegende Veränderung bedeutet.11 Günter Schlusches Text zum städtebaulichen Umfeld ist überwiegend deskriptiv, enthält aber die bedenkenswerte Empfehlung, „über eine weiterführende Information zur Nennung der Einsatz- bzw. Todesorte und zur politischen Begründung des jeweiligen Bundeswehreinsatzes nachzudenken“ (S. 119). Dies würde dem weihevollen „Ehrenmal“ ein stärker diskursives Element geben.

Am Ende bleibt die Hoffnung auf „die nicht voraussagbaren Potenziale der Kunst“ (Hans-Ernst Mittig, S. 145) – eine schwache Hoffnung freilich, solange die Rahmenbedingungen der Denkmalsplanung dafür keine Unterstützung bieten. Der Buchtitel „Bedingt erinnerungsbereit“, von den Herausgebern nicht näher erläutert, ist durchaus treffend: Einerseits kann das Denkmalsprojekt zunächst als Indikator für Erinnerungsbereitschaft verstanden werden, andererseits wird diese Bereitschaft durch das Verfahren sofort wieder reglementiert. Ohnehin wirkt das Bundeswehr-Ehrenmal unzeitgemäß, solange der sicherheitspolitische Klärungsbedarf auf den Ebenen „der politischen Klasse, der Militärelite und der Bürgergesellschaft“ noch kaum erkannt worden ist.12 So ist es kein Zufall, dass auch der Sammelband zwischen verschiedenen Argumentationsebenen pendelt und weder als pointierte Streitschrift noch als ausgewogene Bilanz, sondern am ehesten als ‚Zwischenbericht’ zu charakterisieren ist.

Anmerkungen:
1 Klaus Naumann, Einsatz ohne Ziel? Die Politikbedürftigkeit des Militärischen, Hamburg 2008, S. 117.
2 Ebd., S. 8.
3 Patrik Schwarz, Der Gerade-so-Krieg, in: ZEIT, 7.8.2008, S. 8.
4 Andreas Dörner, Die symbolische Politik der Ehre. Zur Konstruktion der nationalen Ehre in den Diskursen der Befreiungskriege, in: Ludgera Vogt / Arnold Zingerle (Hrsg.), Ehre. Archaische Momente in der Moderne, Frankfurt am Main 1994, S. 78-95, hier S. 93.
5 So die Angabe bei C.v.L., Streit um Bäume vor Bundeswehr-Ehrenmal, in: Tagesspiegel, 23.7.2008, S. 8.
6 Der Einzige, der es vorausgesehen hat, in: Freitag, 8.8.2008, S. 5 (Interview mit Hochhuth zu seiner Initiative für ein Georg-Elser-Denkmal).
7 Siehe das Programm unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=7748> und den Bericht von Markus Friedrich, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 67 (2008), S. 141-146.
8 Stefanie Endlich, Vorwärts in die Vergangenheit. Kritische Anmerkungen zum Findungs-Verfahren für ein Bundeswehr-Ehrenmal, in: kunststadt stadtkunst 55 (2008), S. 10.
9 Zygmunt Bauman, Über Kunst, Tod und Demokratie und was sie gemeinsam haben, in: Interventionen 7 (1998): Inszenierung und Geltungsdrang, S. 187-207, hier S. 191.
10 Vgl. die Dokumentation unter <http://www.zeitgeschichte-online.de/md=Bundeswehr-Ehrenmal-Inhalt>.
11 Siehe <http://www.meck-architekten.de> (unter „Planungen“; vorgesehen ist nun eine verschobene Bodenplatte). Den Hinweis verdanke ich Christian Fuhrmeister. Öffentlich kommuniziert wurde diese wohl im Frühjahr 2008 vorgenommene Änderung nicht.
12 Naumann, Einsatz ohne Ziel?, S. 22.