H. James: Familienunternehmen in Europa

Titel
Familienunternehmen in Europa. Haniel, Wendel und Falck


Autor(en)
James, Harold
Erschienen
München 2005: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Kleinschmidt, Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte, Universität Dortmund

Alle reden von Familie – auch die Wirtschaftshistoriker. Harold James unternimmt den Versuch, das Verhältnis von Familien, Staaten und Märkten im europäischen Kontext zu untersuchen. Zu Recht weist er darauf hin, dass drei Viertel aller eingetragenen Unternehmen in den Industriestaaten Familienbetriebe seien, sich dies jedoch in der historischen Forschung kaum widerspiegele. Darüber hinaus moniert er, dass „Familienunternehmen nach wie vor meist grundsätzlich negativ bewertet“ werden und verweist dabei auf die Forschungen von Alfred Chandler, Charles Kindleberger und Robert Pavan.1 Abgesehen davon, dass es sich hierbei um Arbeiten aus den 1960er und 1970er-Jahren handelt, erscheint bereits diese Eingangsthese gewagt, berücksichtigt sie doch kaum die neueste Forschung – mit Ausnahme eines Hinweises auf einen Aufsatz Jeffrey Fears über August Thyssen. Darüber hinaus sind jedoch für den deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren einige Erfolgsgeschichten von Familienunternehmen erschienen 2 und auch in den Wirtschaftswissenschaften hat sich inzwischen die Einschätzung durchgesetzt, dass Familienunternehmen eine „unbestrittene Bedeutung für die Volkswirtschaft“ haben, was wiederum auch dort mit Verweisen auf die Geschichte belegt wird.3 Bleibt der allerdings der berechtigte Hinweis auf einen Mangel an international vergleichenden Studien, und hier möchte James eine Lücke schließen. Er erhebt dabei nicht den Anspruch auf Repräsentativität, sondern sucht solche Unternehmen aus, die langfristig erfolgreich sind und Branchen von strategischer Bedeutung vertreten, nämlich der Eisen- und Stahlindustrie, und die zugleich „repräsentativ sind für den ‚rheinländischen Kapitalismus’“ (S. 17, gemeint ist wohl der „rheinische Kapitalismus“). Dies ist methodisch legitim, auch wenn es die Aussagekraft über die Bedeutung von „Familienunternehmen in Europa“ deutlich eingrenzt. James Hauptinteresse gilt der Frage, „wieso die Idee und die Strukturen des Familienkapitalismus ausgerechnet in Zeiten, in denen der Staat immer weniger dazu in der Lage ist, das Wirtschaftswachstum zu fördern, eine bemerkenswerte Relevanz erleben“ (S. 15). Im Mittelpunkt stehen vier Fragen der vergleichenden Industriegeschichte. Diese betreffen 1. die nationalen Unterschiede im unternehmerischen Verhalten, 2. die Gestaltung des Verhältnisses zwischen Eigentümern und Managern (das Principal-Agent-Problem), 3. den Einfluss des Staates und 4. die Rolle des internationalen Wettbewerbs bei der Gestaltung der Firmenpolitik (S. 24). Insofern ist das Interesse des Lesers geweckt und er erwartet nun einen Vergleich, bei dem die drei Unternehmen aus Deutschland, Frankreich und Italien entsprechend der vier Themenbereiche analysiert werden. Was jedoch folgt ist eine chronologische Darstellung der Fallbeispiele, unterteilt in fünf Kapitel bzw. fünf „Zeitalter“ („Zeitalter des Individuums“, „Zeitalter der Aktiengesellschaft“, „Zeitalter des organisierten Kapitalismus“, „Zeitalter des Wirtschaftswunders“, „Zeitalter der Globalisierung“). Jedem dieser Kapitel ist eine kurze Einführung vorangestellt, der dann die jeweiligen Familiengeschichten der Haniels, de Wendels und Falcks folgen, in zumeist traditioneller, bisweilen stark ereignis- und personenorientierten Form, eingebettet in politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Zusammenhänge und unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung der einzelnen Unternehmen sowie deren betriebliche Sozialpolitik. Ein echter Vergleich findet ab hier jedoch kaum statt, es gibt nur wenige Querverweise zu den jeweils anderen Unternehmen und auch kaum zu Nicht-Familienunternehmen, deren Entwicklung ja eigentlich immer mitgedacht werden müsste. Denn wer das Spezifische von Familienunternehmen aus drei Ländern herausarbeiten will, der betreibt implizit einen doppelten Vergleich: nämlich einerseits den Vergleich zwischen den drei Unternehmen, andererseits aber auch einen Vergleich von Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen. Methodisch und inhaltlich spielt dies bei James aber kaum eine Rolle. Er schreibt eigentlich drei Parallelgeschichten und spricht auch selbst in einem Epilog von einer „chronologischen Betrachtung der drei parallelen Familiengeschichten“ (S. 343). Dies ist jedoch, wie sich herausstellt, mit dem Anspruch einer „vergleichenden wirtschaftshistorischen Betrachtung“ (S. 8) nur schwer zu vereinbaren.

Das zeigt sich etwa hinsichtlich der Frage, was die betriebliche Sozialpolitik bzw. den Paternalismus von Familien- und Nicht-Familienunternehmen unterscheidet und was vor diesem Hintergrund das Spezifische an de Wendels „moralisch verklärtem Patriotismus, der von einem traditionellen Katholizismus durchdrungen war“ (S. 159), ausmacht und was dies wiederum von den entsprechenden Varianten bei Haniel oder Falck unterscheidet. Bemerkenswerter Weise geht James mit dem Begriff der Unternehmenskultur in diesem Zusammenhang sehr zurückhaltend um. Dabei gibt es dazu in der jüngsten Zeit zahlreiche Untersuchungen, die auch unter methodischen Gesichtspunkten Anregungen für Vergleichsmöglichkeiten geboten hätten. Doch ein wirklicher Vergleich wird an dieser Stelle ebenso wenig gezogen wie mit Blick auf die technische Entwicklung der Familienunternehmen. „Ist der ‚Beziehungskapitalismus’ besser geeignet für gewisse Technologien“, diese Frage stellt James einleitend (S. 9), und sie ist in der Tat hinsichtlich der Eisen- und Stahlindustrie von großer Bedeutung. Doch auch diese Frage wird kaum vergleichend beantwortet. Stattdessen wird im Zuge der parallel verlaufenden Unternehmensgeschichten für die unterschiedlichen Zeiträume auf die technische Entwicklung bei Haniel, de Wendel und Falck jeweils individuell eingegangen. Dabei lassen sich zahlreiche begriffliche Ungenauigkeiten und Schieflagen beobachten, etwa wenn es heißt, „die Eisentechnologie wurde von der Stahltechnologie abgelöst“ (S. 135), wenn das Bessemer-Verfahren als neues technisches Verfahren der Eisenproduktion bezeichnet wird (S. 142) und im weiteren Verlauf immer wieder Eisen- und Stahlherstellung durcheinander gebracht werden bzw. das Stranggussverfahren als Teil der Stahlherstellung firmiert (S. 161, 236, 294), oder wenn von einem modernen „alpinen Stahlwerk in Europa“ gesprochen wird (S. 253). Sicherlich muss ein Wirtschaftshistoriker nicht die Feinheiten der technikhistorischen Begrifflichkeit beherrschen, aber die Verwechselung des basalen Unterschieds zwischen Eisen und Stahl bzw. deren Weiterverarbeitung kann beim Leser zu Irritationen führen. Ärgerlich ist vielmehr, dass auch hier der direkte Vergleich unterbleibt, obwohl eine genaue Auswertung der von James selbst (anscheinend nur selektiv genutzten) Literatur hier Erkenntnisfortschritte hätte bringen können. Die GHH als Familienunternehmen beispielsweise gehörte nicht unbedingt zu den „first movern“ bei der Einführung neuer Technologien, Krupp jedoch schon. Auf diesen Umstand wird ebenso wenig eingegangen wie auf die Tatsache, dass der von James erwähnte Hörder Verein kein Familienunternehmen, aber ein „first mover“ war, und trotzdem vor Beginn des Ersten Weltkriegs in erhebliche ökonomische Schwierigkeiten kam.4 Bei solch komplexen Zusammenhängen greift schließlich die einfache Formel vom „Beziehungskapitalismus“ nicht mehr. Gleichwohl wäre ein direkter Vergleich zumindest etwa zu de Wendels innovationskritischem Verhalten (S. 188ff.) oder Falcks innovativer Strategie, frühzeitig auf Ministahlwerke zu setzten (wobei hier wieder fälschlicherweise von Hochöfen gesprochen wird, S. 236) zur Beantwortung der Frage nach dem Verhältnis von „Beziehungskapitalismus“ und neuen Technologien durchaus von Interesse gewesen.

Eine der Hauptfragen der Arbeit betrifft das Verhältnis der jeweiligen Unternehmen zu Staat und Regierung. Besonders interessant sind hier die Darstellungen der 1920er bis 1940er-Jahre. Externe Eingriffe werden von den Unternehmen zumeist als Bedrohung wahrgenommen. Insbesondere für die Zeit des Faschismus und des Nationalsozialismus wäre ein direkter Vergleich zwischen Falck und Haniel deshalb höchst interessant gewesen. Wie waren die Reaktionen auf die Autarkiepolitik? Wie verhielten sich die Familien und Unternehmensleitungen zum Faschismus bzw. Nationalsozialismus? Wie änderte sich das Principal-Agenten-Verhältnis in dieser Zeit? Dies wird, im besten Fall, jeweils individuell dargestellt und so kommt es auch hier zu parallelen Darstellungen, wobei es dem Leser überlassen bleibt, diese zu einem Vergleich zusammenzufügen, von einem Vergleich mit Nicht-Familienunternehmen ganz zu schweigen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Bedrohung der Familienunternehmen nicht ausschließlich von außen, bedingt durch staatliche Intervention und Regulierung erfolgte, sondern fast in noch stärkerem Maße aus den Unternehmen selbst kam, wenn etwa der eingeheiratete Werner Carp in den 1920er-Jahren versuchte, die GHH aufzukaufen und in die Vereinigten Stahlwerke einzubringen (S. 216ff.). Wenigstens andeutungsweise wird hier einmal ein direkter Vergleich mit der Politik Francois de Wendels gezogen (S. 222), aber Falck wird dabei schon nicht mehr mit einbezogen.

Für die Zeit nach 1945 stellt sich dann in besonderem Maße die Frage, in welcher Form in den drei als Repräsentanten des rheinischen Kapitalismus ausgewählten Unternehmen Aspekte des Paternalismus und der Industriellen Beziehungen überlebten und wie sich das Verhältnis von Staat und Unternehmen entwickelte. Zugespitzt handelt es sich dabei um die Frage nach dem Erfolg oder Misserfolg des „Modell Deutschland“, in dessen Mittelpunkt – gerade in den Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie – die Montanmitbestimmung steht. Werner Abelshauser hat dies jüngst noch einmal unter dem streitbaren Titel „Kulturkampf“ mit Blick auf das deutsch-amerikanische Verhältnis der „Wirtschaftskulturen“ thematisiert, wobei er in Anlehnung an institutionenökonomische Argumente die Transaktionskosten senkende Bedeutung der Montanmitbestimmung hervorhebt.5 Dabei spielt auch das Principal-Agenten-Problem eine Rolle, welches im „Modell Deutschland“ in vorbildlicher, weil die wirtschaftliche Stabilität und den sozialen Frieden unterstützende, Weise gelöst scheint. Mit Blick auf das Thema „Familienkapitalismus“ würde nun an dieser Stelle ein Vergleich der drei Eisen- und Stahlunternehmen und deren Strategien zur Bewältigung des Principal-Agenten-Problems, die jeweiligen Modelle der Industriellen Beziehungen sowie der Unternehmenskulturen im Vergleich interessieren. Auf einer zweiten Vergleichsebene müsste neben dem Vergleich der drei Unternehmen noch die Frage geklärt werden, ob deren Strategien sich signifikant von denjenigen der Nicht-Familienunternehmen unterschieden. Darüber hinaus wäre etwa die Beantwortung der Frage interessant, ob ein Familienunternehmen im Rahmen des „Modell Deutschland“ die technologische Herausforderung anders oder gar besser meisterte als seine ausländischen Konkurrenten. Doch auch hier werden Parallelgeschichten erzählt, die einen Vergleich kaum zulassen.

Stattdessen nutzt James das Thema Mitbestimmung zur Abstützung seines Arguments der externen Bedrohung von Familienunternehmen durch staatliche Eingriffe. Die Einführung der Montanmitbestimmung habe die Attraktivität für die Eigentümer vermindert und deren Beschluss bestärkt, zügig aus dem Sektor der Montanindustrie auszusteigen (S. 256). Wenige Seiten später wird jedoch deutlich, dass einmal mehr die Bedrohung des Familieneinflusses nicht nur von außen, sondern vor allem auch aus dem Unternehmen selbst kam, als nämlich die Unternehmensleitung der GHH „die letzten Einflussmöglichkeiten der Haniels jetzt so schnell wie möglich beseitigen“ wollte (S. 272). Schließlich beschritten aber auch de Wendel und Falck mittelfristig den Weg des Ausstiegs aus dem Montansektor (ohne dass es dort eine Montanmitbestimmung gab) sowie eine Strategie der Diversifizierung, wie in Kapitel VI deutlich wird, wo im Übrigen im Rahmen eines Epilogs in stärkerem Maße auch einmal vergleichend argumentiert wird.

Ein solch expliziter Vergleich findet dann in komprimierter und knapper Form im letzten Kapitel statt. Doch auch dieser Vergleich bzw. die dort zusammengefassten Bemerkungen zu den Vor- und Nachteilen von Familienunternehmen fallen eher unbefriedigend aus. Wenn ein Hauptziel des Buches darin bestand, die 30 Jahre alten Thesen von Chandler und Landes zum Übergang vom Eigentümerkapitalismus zur mehrspartigen Publikumsgesellschaft zu widerlegen, so ist dies zwar gelungen, dürfte aber in der Gegenwart auch kaum noch bestritten werden. Wenn James neue Thesen dagegen setzt, wonach der besondere Vorteil von Familienunternehmen u.a. im Bestand eines loyalen Kundenstamms besteht, der großen Wert auf gute Betreuung legt (S. 352), die „besondere Logik des Familienunternehmens“ eine Risikostreuung über verschiedene Sektoren erfordert (ebd.) und „unternehmerischer Geist und Wagemut nach wie vor von entscheidender Bedeutung“ sind (S. 353), ebenso wie die Aneignung von ausländischem Know-how und Erfahrungswissen (S. 355), so sind dies entweder Allgemeinplätze oder diese Thesen bedürfen einer eingehenderen Analyse und eines differenzierteren Vergleichs, als er in dieser Darstellung gegeben wird.

Wer sich über die Geschichte der Unternehmen der Haniels, de Wendels oder Falcks informieren möchte, der wird in diesem Buch in chronologischer Form umfassend informiert. Wer eine vergleichende wirtschaftshistorische Betrachtung erwartet (wie einleitend angekündigt) und sich zudem möglicherweise auch noch Hinweise auf Unterschiede zwischen Familien- und Nicht-Familienunternehmen erhofft, der wird hier allerdings kaum fündig werden.

Der Anhang bietet Landkarten, Stammbäume und ein Personenregister. Ein Literaturverzeichnis fehlt.

Anmerkungen
1 Chandler, Alfred D., The Visible Hand: The Managerial Revolution in American Business, Cambrige 1977; Kindleberger, Charles P., Economic Growth in France and Britain 1851-1950, Oxford 1964; Pava, Robert, “Strategy and Structure of the Italian enterprise”, Ann Arbor 1973.
2 S. u.a. Gall, Lothar, Krupp. Der Aufstieg eines Industrieimperiums, Berlin 2000; Gall, Lothar (Hg.), Krupp im 20. Jahrhundert, Berlin 2002; Boelcke, Willi A., Wege zum Erfolg. Südwestdeutsche Unternehmerfamilien, Leinfelden-Echterdingen 1996; Berghoff, Hartmut, Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt. Hohner und die Harmonika 1857-1961. Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte, Paderborn 1997.
3 Klein, Sabine B., Familienunternehmen, Wiesbaden 2004, S. 2.
4 Mlodoch, Stephan, Neue Technologien und wirtschaftliche Rentabilität am Beispiel des Hörder Bergwerks- und Hüttenvereins 1852-1906, in: Dascher, Ottfried; Kleinschmidt, Christian (Hgg.), Die Eisen- und Stahlindustrie im Dortmunder Raum, Dortmund 1992, S. 339-354; Ellerbrock, Karl-Peter, Von Piepenstock zum „Phönix“. Die Geschichte der Hermannshütte (1841-1906), Dortmund 1990.
5 Abelshauser, Werner: Kulturkampf. Der deutsche Weg in die Neue Wirtschaft und die amerikanische Herausforderung, Berlin